Die Reißzeugindustrie in Wilhelmsdorf
Über einhundert Jahre lang klapperten in jedem Haus die Wirkstühle, doch man verpasste den Anschluss an moderne Techniken, die Nachfrage ging zurück und das ganze Dorf verarmte. Die Rettung nahte 1896 in Gestalt von zwei Herren: dem Kaufmann Edmund Boden und dem Techniker Johann Christian Lotter. Zusammen gründeten sie mit Hilfe eines Darlehens die erste Reißzeugfabrik in Wilhelmsdorf, die noch heute besteht (Erlanger Str. 11). Von da an ging es mit dem Dorf wieder aufwärts. Später trennten sich Lotter und Boden und weitere Fabriken wie die Fa. Wohlleb & Boden (Zirkel für den technischen Bereich und das Handwerk) oder die Fa. Siebenhaar & Co. (Schulreißzeuge) entstanden.
In dieser Zeit gründeten auch viele einzelne Personen Fertigungen in ihren Wohnungen, die dann als Zulieferanten für die Reißzeugindustrie auftraten. Hinzu kamen die Nebengewerbe wie Etuischreinerei und -Etuimacherei.
Nach dem 2. Weltkrieg gingen die wachsenden Umsatzzahlen durch weitere Firmengründungen der Fa. Forsona, Fritz Förster (Präzisions- und Bogenzirkel), Fa. Hans Förster (Stangen- und Aluzirkel) und Fa. Fritz Seefried (Präzisionsreißfedern) weiter nach oben. Ca. 30% des Weltumsatzes an Zirkeln und Reißzeugen wurden in den 50er und 60er Jahren in Wilhelmsdorf und Umgebung hergestellt. Dann setzte ein Schrumpfungsprozess ein. Produktionen in sog. Billigländern und die zunehmende Computerisierung bewirkten einen Rückgang der Produktion. Doch auch heute werden noch Zirkel und Reißzeuge benötigt und von Wilhelmsdorf und seinen Nachbarorten aus in alle Welt exportiert. Ein kurzer Film führt den Besucher in die Geschichte des Ortes und die Produktion der Zirkel ein.
Der Wandel von der handwerklichen Fertigung zur rationelleren Maschinenfertigung war bereits vollzogen, als man hier mit der Reißzeugproduktion begann. Heute ist in den Betrieben alles voll automatisiert und computerisiert. Damit das Wissen um dieses Handwerk und seine Bedeutung für das Dorf nicht – wie im Falle der Strumpfwirkerei – verloren geht, richtete der Heimatverein das Zirkelmuseum ein, das 1992 eröffnet wurde.
Im Zirkelmuseum von Wilhelmsdorf erwacht noch einmal die Vergangenheit. In mühevoller Kleinarbeit wurden die alten, von Transmissionen betriebenen Maschinen wieder instand gesetzt und aufgestellt. Alle Arbeitsgänge, die zur Produktion und zum Vertrieb eines Zirkels gehören, wurden rekonstruiert. Sogar eine Zirkelschmiede konnte gerettet werden. Der Rundgang führt in der Rohfertigung mit den Schneide-, Fräs- und Bohrmaschinen. In der Ecke lehnt das Stangenmaterial, aus dem die Zirkelteile geschnitten wurden. Sogar das Loch in der Wand wurde nicht vergessen, denn um Platz zu sparen, wurden die langen Stangen von außen durch die Wand geschoben, während innen ein Arbeiter das Material auf die richtige Länge zuschnitt. An der Fräsmaschine wurde die Form der einzelnen Teile grob vorgegeben und an den Bohrmaschinen die kleinen Schraubenlöcher und andere Vertiefungen gebohrt.
Im nächsten Raum ist die Poliererei und die Galvanik aufgebaut. In der Poliererei wurden die Zirkelteile auf Hochglanz poliert, um sie für die Vernickelung oder Verchromung vorzubereiten.
In der Justierei wurden die einzelnen Zirkelteile zusammengebaut und ausgerichtet, so dass präzise Kreise gezogen werden konnten. Jetzt war der Zirkel fertig und konnte verpackt werden. Im direkten Anschluss sind daher eine Etuischreinerei und eine Etuimacherei aufgebaut. In ersterer wurden früher je nach Größe des Etuis die Vertiefungen für die Reißzeuge aus dem Holz geschnitten, in letzterer wurden die Holzkästen innen mit Samt, außen mit Papier ausgekleidet.
Bevor der Besucher das Museum verlässt sollte er noch einen Blick in die Vitrinen werfen, in denen sowohl einheimische als auch auswärtige Produkte ausgestellt sind. Sie sehen die Vielfalt der Zirkelformen, die Formentwicklung, technische Neuerungen, Patente ...